Crematory

Arbeitsteilung

(Interview mit Markus Jülich, August 1997)

Es ist Donnerstagabend, Mitte August. Außerdem brütend heiß. Zumindest im Bürgerhaus Stollwerk im Kölner Süden, wo Nuclear Blast Records heute zum Tanz bitten, mit CREMATORY, DIMMU BORGIR, IN FLAMES, EVEREVE, CRACK UP und NIGHT IN GALES. Da man es in der Halle kaum aushält - sogar den weißgetünchten Schwarzmetallern von DIMMU BORGIR verlief im späteren Verlauf des Abends die Schminke - bin ich ganz froh, mich zwischendurch mit CREMATORY-Drummer Markus Jülich ins Freie begeben zu dürfen, damit dieser mir einiges zum neuen Album "Awake" erzählt.

Markus Jülich Das Bemerkenswerte an dieser Band ist, daß eigentlich jeder der Musiker hin und wieder mal interviewt wird, obwohl sicher nicht jeder gleichstark an den Songs beteiligt ist. Daher gehe ich einfach mal davon aus, daß auch Markus über einiges, was bei der Band geschieht, Bescheid weiß. Oder?

Ich weiß alles!

Na prima. Dann wollen wir mal: Nachdem das letzte Machwerk nur deutschsprachige Texte enthielt, seid ihr ja jetzt wieder zu englischen Texten zurückgekehrt. Was war der Grund für diese Rückkehr?

Eigentlich war das schon von vornherein klar. Wir hatten das deutsche Album seinerzeit auch genau so angeprießen, nämlich als Experiment, und als Dankeschön an die deutschen Fans. Von daher gab es von Anfang an keinen Zweifel daran, daß das eine einmalige Sache ist, und deswegen hatten wir ja auch musikalisch eine andere Richtung eingeschlagen und die Sache ein bißchen bluesiger und ein bißchen rockiger gemacht. Es sollte eben eindeutig ein anderes CREMATORY darstellen. Wir hatten aber gleichzeitig schon gesagt, daß erst die darauffolgende Platte der eigentliche Nachfolger von " Illusions" sein wird.

Nun waren ja auch die Pressereaktionen auf das deutsche Album eher zwiespältig. Böse Zungen könnten nun natürlich behaupten, ihr kehrt auch deswegen wieder zu den englischen Texten zurück, weil ihr gemerkt habt, daß das mit den deutschen Texten nicht so der Bringer ist ...

Das ist schon der Bringer, denn das deutsche Album ist, zumindest in Deutschland, unser bestverkauftes überhaupt. Wir waren damit auch sechs Wochen in den Album-Charts. Nur im Ausland kannst du damit halt nichts bewegen, aber das war uns auch im Vorfeld schon klar.

Sind eure Verkaufszahlen im Ausland, von dem deutschen Album mal abgesehen, denn mit denen bei uns vergleichbar?

Nee, leider noch nicht. Das ist auch der Grund, warum wir den Deal mit Massacre Records beendet haben und zu Nuclear Blast gewechselt sind. Bei letzterem handelt es sich um eines der wenigen Labels in Deutschland, die weltweite Veröffentlichungen garantieren können und die auch eine sehr gute, weltweit agierende Promo-Abteilung haben.

Nach diesen eher allgemeinen Bemerkungen und denen zum deutschen Album will ich von Markus jetzt aber erst mal etwas über die Inhalte des aktuellen Machwerks "Awake" erfahren. Dennoch kann sich der Drummer in diesem Gespräch thematisch noch nicht ganz vom deutschen Album lösen:

Das Konzept hinter der neuen Scheibe ist dasselbe wie bei allen unseren Platten, inclusive der deutschen. Die Texte, die auf dem deutschen Album drauf sind, hätten genauso gut auf "Awake" sein können, nur halt eben in Englisch. Das Problem ist einfach, daß sich das in Deutsch anders anhört, und wir hatten uns das Arbeiten mit den deutschen Texten auch viel einfacher vorgestellt, als es dann im Endeffekt war. Wir kamen richtig ins schwitzen bei den Texten, weil es in Deutsch viel schwerer ist, die Dinge auszudrücken. Also: "Awake" behandelt genau dieselbe Thematik. Es geht um Träume, Illusionen, das Leben nach dem Tod, eben die Dinge, um die es seit der "Just Dreaming"-Scheibe immer ging. Deswegen waren wir nach dem deutschen Album auch ein wenig angepißt, weil die Leute auf einmal unsere Texte zerrissen haben, obwohl es sich thematisch um genau dieselben Dinge dreht wie auf jedem anderen unserer Alben auch.

Tja, die Leute verstehen deutsche Texte eben direkt beim ersten Hören...

Die sollten lieber ab und zu mal ein Booklet in die Hand nehmen und es lesen, bevor sie irgendein Urteil abgeben.

Crematory (b/w) Dummerweise ist speziell das bei den Scheiben von Massacre-Records nicht so einfach, weil diese Firma die Promo-CDs meistens ohne Booklet an die Magazine verschickt, aber dafür kann ja nun der CREMATORY-Drummer auch nichts.
Aber bleiben wir erstmal beim Thema Texte. Wer schreibt denn die bei euch?

Das macht der Felix. Der Kerl beschäftigt sich in seiner Freizeit hauptsächlich damit, Bücher zu lesen, etwa über das Leben nach dem Tod. Oder auch die von Erich von Däniken. Oder übers Wahrsagen. Und in den Texten verarbeitet er darüberhinaus auch noch eigene Träume und Erlebnisse, die er dabei natürlich in eine andere Verpackung hüllt.

Steht der Rest der Band denn voll dahinter, was Felix als Sänger so von sich gibt?

Ja klar, er kann ja schließlich nicht irgendeine Scheiße singen (lacht). Wir müssen uns schon mit den Texten identifizieren, die er schreibt. Das ist aber genau dasselbe, wenn wir die Musik schreiben. Das wird gemeinsam abgestimmt, und erst wenn jeder mit den Vorstellungen einverstanden ist, wird es letztendlich auch so umgesetzt. Ich meine, der Felix kann ja nun nicht, nur um mal ein Beispiel zu bringen, von irgendeiner Nazi-Scheiße singen, und der Rest der Band ist so blöd und merkt nix und sagt "Oh geil!" Nee nee, wir stimmen sowohl textlich als auch musikalisch alles in der Band ab.

Findet ihr dabei immer einen gemeinsamen Nenner, oder gibt es da schonmal größeren Knatsch?

Größeren nicht. Es gibt sicher hin und wieder mal Unstimmigkeiten. Aber die gibt's ja in jeder Band. Der eine will's halt so und der andere eben anders. Meistens finden wir aber recht schnell einen Kompromiß und machen es dann so, daß es jedem recht ist.

Und die Entscheidungen trefft ihr dann streng demokratisch?

Naja, so gelenkte Demokratie halt.

Aha. Wer ist denn bei euch der Bandleader?

Ach, was heißt schon Bandleader? Also ich bin der Manager und mache alles Geschäftliche, Lotte ist der Songwriter, Felix kümmert sich um die Texte und Katrin erledigt die Fanpost und den ganzen Schreibkram. Bei uns hat jeder in der Band irgendwie 'n Job, den er halt auch souverän erledigt, und jeder kann sich voll auf den anderen verlassen. Daher gibt's eigentlich keinen Bandleader im engeren Sinne. Gut, ich mache hin und wieder mal 'ne Ansage, was jetzt gemacht wird und wie und warum, aber letztendlich stimmen wir uns immer untereinander ab.

Vielleicht wehrst du dich ja gegen dieses typische Schubladendenken, aber ich würde mal sagen, musikalisch habt ihr euch im Laufe der Zeit vom Death Metal mit Keyboardunterstützung hin zum Gothic Metal entwickelt. Spiegeln sich da so die Einflüsse von Lotte wider?

Ja klar. Er ist nun mal der Hauptsongwriter, und er wird halt auch älter und ruhiger. Die Einflüsse sind eben die der Musik, die du täglich hörst, und das beeinflußt dich natürlich irgendwie im Unterbewußten. Lotte hört vor allem EBM, Wave und Gothic, und das deckt sich auch so ziemlich mit den Vorlieben der anderen Bandmitglieder.

Um den Gothic Metal kommt man ja auch kaum noch drumrum. Ich meine, der boomt ja nach wie vor.

Ich würde mal behaupten, in der deutschen Szene sind wir so der Wegbereiter für diese Art von Musik gewesen. Nach uns kamen dann Bands wie MOONSPELL, AMORPHIS und SAMAEL, und auf einmal gab's diese Schublade Gothic Metal. Vorher hieß das einfach Death Metal mit Keyboards. Damals verglichen uns die Leute mit NOCTURNUS und PARADISE LOST. Heute nennt sich das Gothic. Und? Ich habe nix dagegen. Sollen sie uns ruhig Gothic Metal nennen.

Denkst du, daß sich CREMATORY noch mehr in diese Richtung weiterentwickeln werden?

Kann ich nicht sagen. Prinzipiell ist es so, daß wir uns in unserer musikalischen Entwicklung nichts vorschreiben lassen, was das deutsche Album ja auch bewiesen hat. Ich denke, wir haben unseren Stil gefunden, und den werden wir weiter ausbauen. Oder zumindest versuchen, ihn zu verfeinern. Was genau passiert, und wie sich die Einzelheiten ändern, weiß ich jetzt natürlich noch nicht.

Für das ein oder andere Experiment scheint ihr aber auch jetzt schon gewillt zu sein. Etwa der cleane Gesang von Lotte auf dem Album. Wie kamt ihr denn auf diese Idee?

Crematory (color) Es war einfach so, daß wir halt wieder eine Weiterentwicklung brauchten. Wir wollen, um das mal so auszudrücken, ja nicht immer denselben Scheiß spielen. Und irgendeine Sängerin zu verpflichten, die irgendwas vor sich hin säuselt, ihren Studiojob macht, bezahlt wird, und sich letztendlich überhaupt nicht mit der Musik identifizieren kann, macht keinen Sinn. Außerdem hatten wir das vor drei Jahren schonmal, auf der "Just Dreaming". Also wollten wir's diesmal halt mir 'nem cleanen Männergesang versuchen. Wir haben dann ausprobiert, wer das in der Band am besten kann, und da hat sich halt Lotte als zweiter Vocalist rauskristallisiert.

Thema Frauengesang: Habt ihr nicht mal über Katrin am Mikro nachgedacht?

Doch, das haben wir auch schon überlebt. Nee, ich meine natürlich: Das haben wir überlegt, nicht überlebt, haha. Überlebt haben wir's in der Tat nicht (lacht sich kaputt). Also, Singen ist glaube ich nicht so ihr Ding. Oder ich sag' mal: Sie kann das schon, aber sie ist noch nicht so weit, das auf Platte zu bringen.

Nett ausgedrückt. Aber zurück zum Thema: Der Song, auf dem Lotte singt, heißt "For Love", und ist unter anderem auch deshalb recht interessant, weil er etwas balladesker ist als das typische CREMATORY-Material. Was will denn dieser eine Song ganz speziell ausdrücken?

Zu diesem Song hat Lotte auch die Lyrics geschrieben, und es geht dabei um eine vergangene Beziehung von ihm. Dieser Song war ursprünglich gar nicht geplant...

An dieser Stelle mußte ich dummerweise das Tape wechseln, und da mein Gedächtnis mittlerweile ja auch nicht mehr das beste ist (Greetings from Alzheim, hehe), habe ich natürlich die entscheidenden Sätze verpaßt.

...er kam mit dieser Idee und sagte, er würde das gerne ausprobieren. Wir haben daraufhin ein paar Probeaufnahmen gemacht, die fanden alle gut, und dann haben wir das Stück halt mit auf die Platte genommen.

Diese Beziehung ist vermutlich noch nicht so alt...

Genau, die Sache war noch ziemlich aktuell. Das war für ihn wohl auch so ein Abschluß dieser Geschichte. Ähm ... ja, das hab' ich jetzt schön gesagt: Ein Abschluß! Ja, so würde ich das bezeichnen, um eben diese Geschichte zu beenden.

Das ist dann wiederum ein guter Abschluß, um dieses Interview zu beenden.

Restless

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